Pikachurin: wenn Gamer zu Forschern werden

Etwas, das in Einführungsvorlesungen zu Genetik oder Entwicklungsbiologie immer wieder zur Belustigung beiträgt ist die Namensgebung bei den Genen. Führende Molekularbiologen sind – obwohl sie meist viel Zeit im Labor verbringen – eben auch nur Menschen und haben Kindheitserinnerungen, schauen manchmal Fernsehen oder spielen Computerspiele. So heißt, beispielsweise eines der wichtigsten Gene, welches in der Embryonalentwicklung festlegt, wo bei uns die Bauchseite und wo die Rückenseite entsteht, sonic hedgehog. Und trotz vielerlei Anstrengungen, die Gen-Nomenklatur zu vereinheitlichen, ist dies de facto nicht gegeben. So trägt ein Gen oft mehrere Namen, darunter eben solche, die der Fantasie, Vorliebe oder spontanen Assoziation des Forschers entsprungen sind. Besonders die Fruchtfliegen-Genetik hat viele merkwürdige Gennamen hervorgebracht, wie zum Beispiel ken and barbie, spätzle, gurken, cappuccino, pavarotti oder van gogh.

1995 wurde dann in der prestigeträchtigen Zeitschrift Nature, die Beschreibung eines Gens veröffentlicht, welches die Forscher Pokemon nannten. Noch im selben Jahr allerdings mussten Sie den Namen zurückziehen. Nintendo hatte Beschwerde eingereicht, da das Gen mit Tumorwachstum in Zusammenhang stand und die Firma Imageschaden befürchtete. Das Pikachurin Gen hingegen, welches auch den sehr viel weniger eingänglichen Namen EGFLAM trägt, wird noch bis heute so genannt (zuletzt zb hier).

Pikachurin wurde erstmals 2008 beschrieben. Die Autoren fanden, dass das Protein, welches Sie in Photorezeptoren der Netzhaut entdeckt hatten, „lightning-fast moves and shocking electric effects“ vermitteln könne, und benannten es daher nach dem wohl bekanntesten Pokémon, dem man ebenfalls derartige Fähigkeiten unterstellt. Wenn man sich die Kinetik des Proteins ansieht kann man eigentlich keine so besondere Geschwindigkeit ausmachen, was den Verdacht nahe legt, dass die Namensgebung vielleicht andere Gründe hatte und im Nachhinein zu legitimieren versucht wurde. In jedem Fall brachte die Benennung der Forschergruppe bestimmt öffentliches Interesse der besonderen Art ein.

Aber nun zur Biologie: Pikachurin ist wichtig für die korrekte Ausbildung und Funktion der Synapsen zwischen Photorezeptoren und bipolaren Zellen, spielt also eine fundamentale Rolle bei der Übersetzung von Lichtimpulsen im Auge in neuronale (elektrische) Erregung, die dann wiederum weiter ins Gehirn geleitet und verarbeitet werden können. Dabei interagiert Pikachurin mit einem anderen wichtigen Protein, Dystroglycan.

Dystroglycan kennt man schon länger aufgrund seiner Relevanz in bestimmten Formen der Muskeldystrophie. Die wohl bekannteste Muskeldystrophie ist der Duchenne-Typ; neben ihr existieren aber noch viele andere, seltenere dieser Dystrophien. Fast alle von Ihnen sind sehr schwere Erkrankungen, die mit einer erheblich verkürzten Lebenserwartung einhergehen. Die „Muscle-Eye-Brain-Disease“ ist eine solche Erkrankung, der in den meisten Fällen das Zusammentreffen zweier fehlerhafter Kopien des POMGNT1 Gens zugrunde liegt. Da gezeigt werden konnte, dass ohne die Funktion von POMGNT1 die Bindung zwischen Dystroglycan und Pikachurin nicht mehr richtig funktioniert, hofft man durch die weitere Untersuchung dieses Zusammenspiels den Mechansimus zu erklären, der der Pathologie der Muscle-Eye-Brain-Disease zugrunde liegt.

Theresa

Theresa

Theresa ist die Person hinter diesem Blog und immer noch die Autorin aller Artikel. Sie hat in molekularer Neuroentwicklungsbiologie promoviert und ist durchaus offen für MitsteiterInnen für dieses Blogprojekt. Wenn ihr also Lust habt mitzuschreiben, meldet euch bei ihr.

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