Sonic Hedgehog: wie man eine Maus in eine Schlange verwandelt
Also nur mal angenommen, das würde man tun wollen. Warum auch immer. Wie würde man denn wohl eine Maus in eine Schlange verwandeln? Im Jahr 2016…? Richtig, mit CRISPR natürlich! So wie man eben alle genetischen, sagen wir mal, „Aufgabenstellungen“ heutzutage mit CRISPR löst. Da nun aber das großartige an CRISPR ist, dass es targeted ist, man das System also an eine ganz bestimmte Stelle ins Genom schicken kann, muss man eben wissen was man „targeten“ will. Und damit kommen wir zum Gen dieser Woche, ein Klassiker, wie kaum ein anderes Gen im ganzen Genom: sonic hedgehog. Hinter diesem Gen steht eine Arbeit, die 1995 mit dem Nobelpreis prämiert wurde: der sogenannte „Heidelberg screen“ von Christiane Nüsslein-Volhard und Eric Wieschaus.
Als dieser 1980 publiziert wurde gab es noch kein CRISPR und auch sonst keine Möglichkeit, gezielt ein Gen im Genom zu verändern oder auszuschalten. Die meisten Gene hatten auch noch keine Namen, weil die Funktion noch überhaupt nicht geklärt war und wo genau im Genom sie lagen, oder welche Sequenz ihnen entspricht wusste man ohnehin nicht. Man machte also folgendes: mit UV-Strahlen oder bekanntermaßen erbgutschädigenden chemischen Substanzen half man der Evolution etwas auf die Sprünge und erhöhte die Auftrittswahrscheinlicheit von Mutationen in den Labortier-Populationen. Nun kreuzet man die Linien, in diesem Fall die Fruchtfliegen (Drosophila melanogaster), so lange bis nach der Verpaarung von Geschwistern in genau einem Viertel der Nachkommen ein bestimmter Defekt in der Embryonalentwicklung sichtbar war. Nun konnte man also davon ausgehen, dass der Defekt durch den Funktionsverlust eines bestimmten Gens hervorgerufen wurde und man benannte die (als Sequenz noch völlig unbekannten) Gene nach dem Erscheinungsbild, welches die abnorm entwickelnden Fliegenembryonen zeigten. Auf dieser Weise bekamen etliche wichtige Gene im Zuge dieses screens (benannt nach der Stadt Heidelberg, wo die meiste Arbeit stattgefunden hat) ihren Namen, so wie zB knirps, hunchback, barrel, gooseberry oder eben (sonic) hedgehog.
Kaum ein Gen ist so wichtig für die Embryonalentwicklung wie sonic hedgehog. Zu verschiedensten embryonalen Stadien wirkt es an verschiedensten Stellen im entwicklenden Körper als Morphogen. Unter einem Morphogen versteht man einen Stoff, der an einer bestimmten Stelle im Embryo produziert wird und von dort wegdiffundiert, sich also verdünnt. Es gibt daher eine Quelle und von dieser Quelle ausgehend abnehmende Konzentrationen eines bestimmten Stoffes in den umliegenden Zellen und Geweben. Eine wichtige Quelle für sonic hedgehog ist die dem Bauch zugewandte Seite der sich entwickelnden Wirbelsäule. Viele Zellen an der Wirbelsäule, vor allem im Rückenmark, reagieren auf verschieden Konzentrationen von sonic hedgehog wobei die bauchseitigsten Zellen am meisten sonic hedgehog abbekommen und die weiter rückseitig gelegenen Zellen entsprechend weniger. Diese Zellen reagieren konzentrationsabhängig auf den Signalstoff wodurch je nach Position andere Zelltypen entstehen.
Ein andere Ort, an dem sonic hedgehog exprimiert wird, ist die sogenannte Gliedmaßenknospe (auf englisch: limb bud). Das ist der Stummel der sich an der Seite des Rumpfes ausbildet, wenn ein Arm oder ein Bein entsteht. Und sonic hedgehog wird in dieser Knospe an einer Seite exprimiert und freigesetzt (diesen Bereich nennt man zone of polarizing activity, kurz ZPA). Auf der anderen Seite kommt kaum noch etwas von dem diffundierenden sonic hedgehog an, wodurch der dort entstehende Finger „weiß“, dass er ein Daumen werden soll (siehe Bild, erstellt von Fred the Oyster, unter GFDL; shh steht für sonic hedgehog).

Aber wie bewerkstelligt es der Organismus eigentlich, dass dasselbe Gen zum gleichen oder zu verschiedenen Zeitpunkten an verschiedenen Stellen exprimiert wird, im Fall von sonic hedgehog zum Beispiel an der Wirbelsäule und an den entstehenden Gliedmaßen (oder im Gehirn, was hier gar nicht erwähnt wurde)? Nun, die Regulierung der Expression eines Gens erfolgt durch das Zusammenspiel von Transkriptionsfaktoren und enhancer Elementen (bzw. regulatorischen Sequenzen im Genom). In verschiedenen Gewebetypen findet sich ein unterschiedlicher Cocktail aus Transkriptionsfaktoren und bestimmte Kombinationen können über ihre gemeinsame Bindung an ein spezifisches enhancer Element die Transkription des Gens einschalten. Das enhancer Element, welches in der Gliedmaße dafür verantwortlich ist, dass sonic hedgehog abgelesen wird, hat man schon einigermaßen gut charakterisiert und ZPR genannt (von zone of polarizing activity regulating sequence). Was die Sequenz dieser ZPR angeht, hat man bemerkt, dass diese in allen Wirbeltieren ziemlich ähnlich ist, mit Ausnahme der Schlangen. In der Schlangenversion haben sich einige Mutationen eingeschlichen. Nun haben die Autoren der vor einigen Tagen erschienenen Forschungsarbeit mittels CRISPR genau diese schlangenspezifischen Mutationen in den Mausenhancer eingebaut. Daraufhin wurden Mäuse geboren, die nur noch äußerst rudimentäre Gliedmaßenansätze hatten.

Diese Arbeit trägt dazu bei, dass wir unsere Vorstellung von Evolution weiter verändern. In diesem Fall hat die Abänderung einer regulatorischen Sequenz enorm große Auswirkungen auf den Körperbau, ohne dass die Sequenz irgendeines Gens an sich verändert wurde. Enhancer und andere regulatorische Elemente sind tendeziell diverser als Sequenzen, die letztlich abgelesen werden um als Vorlage für ein Protein zu dienen. Nicht nur deswegen, sondern auch wegen den oft so enormen Auswirkungen dieser Veränderungen, wurde schon lange spekuliert, dass Mutationen in enhancern stärker zur Evolution beitragen könnten als Mutationen in protein-codierenden Bereichen (zb hier gut zusammengefasst). Generell ist davon auszugehen, dass uns die Entwicklungsbiologie (Embryologie) noch einiges beibringen wird, wenn es darum geht Evolution zu verstehen. Dies ist das weite und oft so gepriesene Feld der „Evo-Devo„.