“Biologen erschaffen künstliches Leben”, “Darf der Mensch Gott spielen?”, solche und ähnliche Schlagzeilen finden sich vor allem in den letzten paar Jahren vermehrt in der Tagespresse. Die Forschungsarbeiten, die tatsächlich hinter den Artikeln stecken, sind allerdings oft für die meisten Leser kaum oder gar nicht zu verstehen. Was ist CRISPR und was heißt es, wenn gesagt wird, man könne damit „Genome editieren„?
In meinem Artikel Was ist ein Gen? habe ich eine Geschichte skizziert, die sich langsam an die Natur der Gene, also der Einheiten der Erbinformation annähert. Und ich habe beschrieben, wie in den späten 1960er Jahren, mit der Entschlüsselung des genetischen Codes eigentlich alle wesentlichen Grundprinzipien der Informationsspeicherung in Zellen aufgeklärt waren. Es ging nun darum dieses Wissen anzuwenden und selbst in das Erbgut von Bakterien, Pflanzen oder Tieren einzugreifen. Manipulationen dieser Art versprachen zum Einen weiter dazu beizutragen, Grundprinzipien aller lebenden Zellen in noch größerem Detail und Umfang zu verstehen, zum Anderen aber auch biologische Systeme derart zu beeinflussen, dass sie dem Menschen dienliche Aufgaben verrichten würden, zu denen sie natürlicherweise nicht fähig wären.
Zu diesen Zwecken also erschuf (wenn man es so nennen will) Paul Berg im Jahre 1972 die erste so genannte rekombinante DNA: er kombinierte dabei DNA-Fragmente von verschiedenen Organismen und erhielt dadurch einen DNA-Strang, der in dieser Form in der Natur niemals vorkommt und Eigenschaften beider Ausgangsfragmente enthält. Das Ganze wurde ermöglicht durch die kurz zuvor entdeckten Restriktionsenzyme, die in Bakterien entdeckt wurden. Diese Enzyme dienen Bakterien zum Schutz vor Viren indem sie deren DNA an bestimmten Stellen zerschneiden. Diese Stellen sind für ein bestimmtes Enzym immer gleich; das aus Escherichia Coli isolierte Restriktionsenzym EcoRV zum Beispiel schneidet jede DNA an allen Stellen wo exakt die Sequenzabfolge GATATC vorkommt. In einem menschlichen Genom kommt diese Sequenz etwa eine halbe Million mal vor. Ein komplettes Genom also, welches mit einem solchen Enzym verdaut wird, liegt danach in Bruchstücken von durchschnittlich etwa 5000 Basenpaaren vor. Und sollte man Bruchstücke identifizieren, auf der eine bestimmte Sequenz liegt, die man vielleicht woanders einsetzen möchte dann konnte man das tun, denn die DNA-Stückchen kann man auch neu rekombiniert wieder zusammenhängen. Dabei können auch Stückchen zusammengeklebt werden, die aus ganz verschiedenen Organismen stammten.
Das enorme Potential dieser Technik war dem Forschungsbereich unmittelbar evident, was dazu führte, dass sich federführende Vertreter dieses Feld nur zwei Jahre später, 1975 in Asilomar, zu einer geschichtsträchtigen Konferenz zusammengefunden haben um ihrer eigenen Forschung Grenzen, Regeln und Verbote aufzuerlegen. Weniger als zwei Jahre später, 1976, wurde das erste Unternehmen gegründet, welches diese neue Technologie kommerziell nutzen wollte. Der Erfolg gab dem Unternehmen Recht; es gelang bald eine Reihe klinisch hochrelevanter Stoffe mittels Bakterien herzustellen, in die menschliche Gene eingeschleust wurden. Das menschliche Gen für Insulin beispielsweise wurde in Bakterienzellen eingeschleust, wodurch die Produktionskosten immens sanken. Auch Wachstums- oder Gerinnungsfaktoren wurden bald mit Hilfe rekombinanter Bakterienzellen produziert.
In den darauf folgenden 1980er Jahren boomte dieser Sektor. Erste transgene Mäuse wurden für die Forschung generiert, erste Feldversuche mit transgenen Pflanzen durchgeführt. Zunächst passiert vieles davon noch ohne großes öffentliches Interesse. Spätestens aber seit 1996 das Klonschaf Dolly beschrieben wurde und das Rennen um die Entschlüsselung des humanen Genoms begonnen hatte, nahm auch das Interesse der Öffentlichkeit an diesen Entwicklungen zu. Gleichzeitig wurden die Dinge aber komplexer, sodass kaum noch jemand ohne Biologiestudium zu einer qualifizierten Risikoeinschätzung gelangen konnte. Viele Menschen bekamen das Gefühl überrannt zu werden von den Fortschritten der modernen Biologie und die Geschwindigkeit, mit der dieses Feld sich entwickelte, schien nicht abzunehmen.
Die neueste Schlagzeilen machende Technik ist CRISPR. Und weil es keine Übertreibung ist, zu sagen, dass CRISPR gerade die Biomedizin revolutioniert, wird diese Technologie hier ein wenig unter die Lupe genommen.
CRISPR/Cas9 – Genom-Editieren für Jedermann?
2012 hat ein Artikel die wissenschaftliche Welt in Aufruhr versetzt. Wissenschaftler zweier Teams, eines geleitet von Jennifer Doudna in Kalifornien und eines von Emmanuelle Charpentier in Basel, veröffentlichten im Magazin Science ein Artikel. In diesem wird die Anwendung eines erst wenige Jahre zuvor entdeckten Immunabwehrmechanismus aus Bakterien zum Zweck des gezielten Veränderns von Erbinformation beschreiben. Über die etwas unhandliche Bezeichnung Clustered regularly-interspaced short palindromic repeats, tröstet die mehr als griffige Abkürzung CRISPR hinweg. Seither hat CRISPR eine vielleicht noch nie dagewesene Erfolgsgeschichte hingelegt; nahezu jeder biomedizinische Forscher reagierte augenblicklich darauf.
Die in den 1970er Jahren entdeckten Restriktionsenzyme, die DNA an bestimmten Stellen schneiden können, ermöglichten die Herstellung rekombinanter DNA. Allerdings schnitt ein bestimmtes Enzym eben immer an einer bestimmten Stelle, die man nicht beeinflussen kann. Zudem sind die Sequenzen, die erkannt und geschnitten werden ziemlich kurz und kommen daher relativ häufig in einem Genom vor.
Das CRISPR System besteht aus einem Protein, welches Cas9 genannt wurde, und einer kurzen nicht-codierenden RNA. Das Protein bildet einen Komplex mit der RNA und scannt das Genom nach einer Sequenz ab, die genau komplementär zu der Sequenz auf der kurzen RNA ist. Indem man dem Protein also eine RNA anbietet, deren Sequenz man selber gewählt hat, kann man das Protein zu einer beliebigen Stelle im Genom schicken. An genau dieser Stelle schneidet der CRISPR/Cas9 Komplex beide Stränge der DNA-Helix.
Ein DNA-Doppelstrangbruch ist für eine Zelle ein katastrophales Ereignis. Um zu überleben können zwei verschiedene Reparaturmechanismen eingeschaltet werden: non-homologous end joining (NHEJ) oder homology directed repair (HDR).
Beim NHEJ versucht die Zelle einfach offene DNA-Enden zu erkennen und klebt sie wieder zusammen. Dabei passieren allerdings oft Fehler, was dazu führt dass an dieser Stelle ein paar Basenpaare fehlen oder hinzugekommen sind. Wenn dies direkt innerhalb eines Gens erfolgt, kann sich dadurch das Leseraster verschieben, sodass das Gen keinen Sinn mehr macht, also kein entsprechendes funktionierendes Protein mehr gebaut werden kann. Somit eignet sich CRISPR schonmal wunderbar um ganz gezielt bestimmte Gene auszuschalten, was für die Forschung von ungeheurer Bedeutung ist. Bis dato war es in einigen Forschungsmodellen, wie beispielsweise dem grandiosen Zebrafisch, nicht möglich, ein Gen gezielt auszuschalten um etwa die Folgen dieses Funktionsverlustes zu untersuchen.
Aber es geht noch weiter. Im Zuge des zweiten Reparaturmechanismus, dem HDR, versucht die Zelle herauszufinden, welche Sequenz auf dem DNA-Strang lag, wo nach dem Schnitt des CRISPR-Komplexes nun ein Loch klafft. Dazu werden DNA-Stränge an die offenen Enden angelagert, die abschnittsweise die gleiche Sequenz tragen. Üblicherweise ist dies nur auf der zweiten Kopie, die wir von jedem DNA-Abschnitt haben, anzufinden. Will man die Zelle aber austricksen, kann man ein Stückchen DNA anbieten, das genau die gleiche Sequenz trägt wie die Enden rechts und links der Stelle an der geschnitten wurde. Den DNA-Abschnitt den man ins Genom einfügen will, kann man daher einfach mit diesen Sequenzen flankieren. Die Zelle erkennt nun die homologen Sequenzabschnitte und nimmt dieses Stückchen DNA als Vorlage um den Schaden zu reparieren. Dabei baut sie auch die zwischen den homologen Bereichen liegenden Sequenzabschnitte ein. Auf diese Weise kann man beispielsweise fluoreszente Proteine oder eben „gesunde Kopien“ von Genen ins Genom einbringen.
Diese Möglichkeit auf ganz neue Art am Erbmaterial des Menschen Veränderungen vorzunehmen hat dazu geführt, dass im Frühjahr 2015 mehrere Gruppen aus in der Biotechnologie und Genetik führenden Wissenschaftlern erneut zu einem Forschungsmoratorium aufgerufen haben. Genau wie in Anbetracht der so fundamental neuen rekombinanten DNA in den 1970er Jahren also, vollziehen Wissenschaftler des betreffenden Fachbereichs diesen so ungewöhnlichen Schritt, sich selbst Grenzen auferlegen zu wollen. Diesmal ging es um die Möglichkeit, mittels CRISPR die menschliche Keimbahn so zu verändern, dass alle nachfolgenden Generationen diese Veränderung in sich tragen würden. Ein Artikel in Nature hatten den eindeutigen Appel als Titel: „Don’t edit the human germline„.
Nur wenige Wochen nach der Veröffentlichung dieses Appells wurden die Forschungsarbeit einer Gruppe von chinesischen Wissenschaftlern publiziert, die tatsächlich die einigermaßen erfolgreiche genetische Veränderung eines menschlichen Embryos demonstriert hatten. Bald darauf wurde ein zweiter Artikel publiziert, der die Möglichkeit demonstriert, menschliche Embryonen so zu manipulieren, dass sie immun gegen HIV sind. Und obwohl in beiden Arbeiten bewusst menschliche Embryonen eingesetzt wurden, die sich aufgrund eines genetischen Kunstgriffs nicht zu lebensfähigen Föten weiterentwickeln können, haben viele Menschen sowohl innerhalb als auch außerhalb der Forschergemeinde das Gefühl einen Dammbruch zu erleben. Ein breiter Diskurs über die Implikationen dieser Entwicklung erscheint heute notwendiger denn je.